Unternehmenskultur: Was toleriert wird, definiert sie.

Es ist genau dieser Satz, der in Führungskreisen für Unbehagen sorgt und genau deshalb seine Berechtigung hat: Unternehmenskultur ist das schlechteste Verhalten, das die Organisation akzeptiert.

Es ist nicht das, was im Leitbild steht, nicht das, was in der Führungskräfteschulung gelehrt wird und auch nicht das, was passiert, seit die HR-Abteilung jetzt „People & Culture“ heißt.

Kultur entsteht nicht auf dem Papier

Wir haben in den letzten Jahren viel Energie in die Formulierung von Werten investiert. Wir haben Workshops abgehalten, Poster gestaltet und Newsletter verschickt und trotzdem, ganz ehrlich gesprochen, spüren wir oft eine Diskrepanz zwischen dem, was wir kommunizieren, und dem, was tatsächlich gelebt wird.

Warum ist das so?

Weil Haltung = Verhalten = Kultur. Eine scheinbar einfache Gleichung. Doch Haltung und Verhalten werden nicht (nur) durch Worte geformt, sondern vor allem durch Konsequenzen. Durch das, was wir durchgehen lassen. Durch das, was wir übersehen. Durch das, womit wir leben, weil es gerade nicht der richtige Zeitpunkt scheint, etwas zu sagen.

Es beginnt im Kleinen

  1. Die Meetings, die fünf Minuten zu spät beginnen, immer wieder, mit denselben Personen. Wer wartet, signalisiert: „Meine Zeit ist weniger wert als deine.“
  2. Die E-Mail, die nach 22 Uhr verschickt wird und zwar nicht als Notfall, sondern als Routine. Ohne darüber zu sprechen, legen wir fest, dass es keine Grenzen gibt.
  3. Der Kollege, der im Meeting permanent dazwischenredet und sich niemand traut etwas zu sagen, weil „er halt so ist“. Wir tolerieren, dass manche Stimmen mehr Raum bekommen als andere.

 

Das sind alles in allem keine dramatischen Vorfälle. Es sind kleine Risse, durch die Tag für Tag ein bisschen mehr Kultur hindurchsickert und dann meist nicht die, die wir uns wünschen.

So oft endet es allerdings im Großen

  1. Der Top-Performer, der Teams zerstört, aber dessen Zahlen stimmen. Also bleiben dysfunktionale Verhaltensweisen unkommentiert, während um ihn herum Menschen kündigen.
  2. Das Fehlverhalten, das bei der einen Person Konsequenzen hat, bei der anderen nicht, weil Status, Seniorität oder Beliebtheit schützen. Wir schaffen zwei Klassen von Verantwortung.
  3. Die Überlastung, die alle sehen, aber niemand spricht sie an, weil „wir gerade in einer wichtigen Phase sind“. Was wir nicht ansprechen, erklären wir für akzeptabel.

Die unbequeme Wahrheit

Hier nochmals die unbequeme Wahrheit: Jede Organisation hat exakt die Kultur, die ihre Führung durch ihr Handeln und Nicht-Handeln definiert hat.

Bitte, das ist und soll keine Anklage sein, vielmehr eine Einladung. Eine Einladung, hinzuschauen, ehrlich zu sein und sich zu fragen:

  • Was lassen wir durchgehen?
  • Wo schauen wir weg?
  • Welche Ausnahmen machen wir, und für wen?
  • Welches Verhalten modellieren wir selbst, wenn wir unter Druck stehen?

Konsequenz ist der Schlüssel

Echte Kulturarbeit beginnt mit Konsequenz und nicht mit Bestrafung. Sie beginnt insbesondere mit Klarheit und mit dem Mut, Dinge anzusprechen, wenn sie passieren. Mit der Bereitschaft, auch unangenehme Gespräche zu führen, bei denen uns der „A… auf Grundeis geht“. Mit der Einsicht, dass Schweigen eine Form der Zustimmung ist.

Konsequenz bedeutet:

  • Grenzen setzen: Freundlich aber unmissverständlich
  • Verhalten ansprechen: Zeitnah und direkt
  • Vorbilder sein: Besonders in herausfordernden Momenten
  • Lernen ermöglichen: Dauerhaft und nachhaltig

Der Weg zu einer stimmigen Kultur

Kulturveränderung ist kein Projekt mit Anfang und Ende, es ist eine kontinuierliche Praxis. Es ist die Summe von tausend kleinen Entscheidungen, die wir täglich treffen.

Kultur zu entwickeln, die authentisch ist und trägt, erfordert Mut, Klarheit und manchmal auch einen Spiegel von außen. Als Transformationsberaterin und Coach begleite ich Führungskräfte und Organisationen dabei, die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit ehrlich anzuschauen und Schritt für Schritt zu schließen.

Denn am Ende ist die Frage nicht, welche Kultur wir haben möchten. Sondern:

Welche Kultur erschaffen wir gerade durch das, was wir heute tolerieren?

Neueste Beiträge

Wenn das Gehirn leer läuft: Vom Rückzug in die Wüste

Wenn das Gehirn leer läuft: Vom Rückzug in die Wüste

Reiz und Reaktion. So funktioniert unser Alltag. Ein Ping und wir schauen aufs Handy. Benachrichtigung und wir reagieren.…

Unternehmenskultur: Was toleriert wird, definiert sie.

Unternehmenskultur: Was toleriert wird, definiert sie.

Es ist genau dieser Satz, der in Führungskreisen für Unbehagen sorgt und genau deshalb seine Berechtigung hat: Unternehmenskultur…

Organisationen scheitern nicht am Konflikt, sondern an seiner Vermeidung

Organisationen scheitern nicht am Konflikt, sondern an seiner Vermeidung

Keine Change Management Schulung ohne das Thema Konflikt. Die Teilnehmenden sind dankbar, dass auf dieses wichtige Thema eingegangen…