Wenn das Gehirn leer läuft: Vom Rückzug in die Wüste

Reiz und Reaktion. So funktioniert unser Alltag. Ein Ping und wir schauen aufs Handy. Benachrichtigung und wir reagieren. E-Mail und wir antworten. Unser Nervensystem ist in einem ständigen Modus des Sendens und Empfangens, ein endloser Kreislauf aus digitalen Impulsen und automatischen Reflexen.

Bis plötzlich nichts mehr da ist.

Reizarmut als Reset

In der Wüste gibt es kein WLAN. Die Internetverbindung ist schlecht, eigentlich nicht existent. Ein Zelt, kalte und kristallklare Sternennächte, Stille. Eine Stille, die anfangs fast unerträglich laut wirkt, weil sie so ungewohnt ist.

Am ersten Tag ertappe ich mich dabei, wie ich immer wieder zum Mobiltelefon greife. Die Hand wandert automatisch in die Tasche, sucht nach dem vertrauten Gerät, dem Reflex folgend, der sich über Jahre eingeprägt hat. Es ist pure Gewohnheit und nicht Notwendigkeit, nicht einmal Verlangen. Einfach nur Automatismus.

Wenn das Gehirn aufräumt

Etwas Merkwürdiges passiert, wenn die ständigen Reize wegfallen. Das Gehirn läuft leer oder besser gesagt: es räumt auf. Wie eine Festplatte, die defragmentiert wird, sortiert sich etwas neu. Gedanken, die schon lange nicht mehr präsent waren, tauchen plötzlich wieder auf. Vor allem Erinnerungen.

Nicht die großen, dramatischen Momente, sondern die kleinen, vergessenen Szenen. Ein Gespräch von vor Jahren, der Geruch einer Jahreszeit, ein Gefühl, das längst verschüttet schien unter Terminen, To-do-Listen und Benachrichtigungen.

In der Reizarmut der Wüste wird spürbar, wie viel Raum normalerweise durch das ständige Senden belegt ist. Wir posten, teilen, kommentieren, antworten und sind immer im Sendungsmodus. Dabei geht das Empfangen verloren. Das Empfangen aus der Natur, aus der Stille, aus dem eigenen Unterbewusstsein.

Weniger Senden, mehr Empfangen

Die Wüste nimmt nichts. Sie fordert auch nichts. Sie ist einfach da, in ihrer unendlichen Weite und Ruhe. Und genau darin liegt ihre Kraft: Sie schafft Raum für das, was sonst keinen Platz findet.

Hier gibt es keine Ablenkung, keine Option, dem eigenen Denken auszuweichen. Man sitzt mit sich selbst am Lagerfeuer, unter einem Sternenhimmel, der so klar ist, dass man die Milchstraße sehen kann. Und langsam, sehr langsam, stellt sich eine andere Art von Klarheit ein. Nicht die Klarheit eines durchgetakteten Plans, sondern die eines aufgeräumten Geistes.

Der nächste Upload steht bevor

Doch dieser Zustand ist vergänglich. Als nächster Stopp sind die Straßen von Marrakesh geplant. Das pulsierende Leben, die Gerüche, die Geräusche, das Chaos der Medina. Ein neuer Upload steht bevor. Andere Reize, andere Impulse, ein anderer Rhythmus.

Aber vielleicht nehme ich etwas mit aus der Wüste. Nämlich die Erinnerung daran, dass das Gehirn aufräumen kann, wenn man es lässt. Dass Stille kein leerer Raum ist, sondern ein voller. Und dass es manchmal notwendig ist, das Senden zu unterbrechen, um wieder empfangen zu können.

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